Freitag, 13. September 2013

Die Gründerzeit

Wir beschäftigen uns seit einem Jahr intensiv mit der "Gründerzeit". Eine Wandpyramide ist schon fertig und kann ab Oktober bestellt werden. Auch der große Gründerzeit-Schwibbogen ist als Muster fertig und wird auf der Modell-Hobby-Spiel vom 3. bis 6. Oktober in Leipzig vorgestellt. Unsere Beschäftigung mit dem Thema ist den Freunden unserer Werkstatt natürlich nicht verborgen geblieben und es tauchte sehr oft die Frage auf:  

 Was ist denn eigentlich die Gründerzeit?

Um diese Frage zu beantworten, haben wir einige Fakten über diese Zeit zusammengetragen und aufgeschrieben.Weder Text noch Bilder erheben einen Anspruch auf Vollständigkeit aber er kann Ihnen helfen altes Wissen wieder aufzufrischen und vielleicht mit offeneren Augen die Spuren dieser Zeit in Ihrem Umfeld wieder zu entdecken.

Viel Spaß beim Lesen!

Die Gründerzeit

Die Epoche der Industrialisierung im 19. Jahrhundert bezeichnet man als die Gründerjahre oder auch die Gründerzeit. Einen genauen Zeitpunkt von wann bis wann diese Epoche ging, lässt sich nur sehr schwer festlegen. Je nachdem wie man diese Zeit definieren will, kann man sie an unterschiedlichen Ereignissen festmachen. Auch regional verlief die Entwicklung sehr unterschiedlich.

Cottbus Wasserwerk

Die Ideen der Aufklärung und die Ereignisse nach der Französischen Revolution und den napoleonischen Kriegen brachten grundlegende Veränderungen in den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen mit sich. Ein selbstbewusstes Bürgertum drängte auf gesellschaftliche Veränderung. Besonders auf dem Gebiet des alten Römischen Reiches deutscher Nation wurde durch Napoleon die politische Landkarte umgekrempelt. Die bis dahin vorherrschende Kleinstaaterei mit all ihren Zoll-, Währungs- und Wirtschaftsgrenzen wurde aufgebrochen und ein Zentralisierungs- und Einigungsprozess in Gang gesetzt, der 1871 in der Gründung des Deutschen Kaiserreiches mündete. Rheinbund (1806-1813), Deutscher Bund (1815-1866) und Zollverein (1834-1871) sind einige wenigeStichworte, die diese Entwicklung im frühen 19. Jahrhundert in den deutschen Territorien kennzeichnen.
Ein weiteres wichtiges Ereignis, an dem sehr oft die Gründerzeit festgemacht wird, ist der große Gründerkrach von 1873. Was war passiert?
Preußen hatte sich in den Jahrzehnten zuvor zu einer Führungsmacht unter den deutschen Kleinstaaten entwickelt. Im Ergebnis des Deutsch-Französischen Krieges konnten unter der Führung Preußens die deutschen Fürstentümer zu einem einheitlichen Deutschen Reich verbunden werden. Federführend bei der Reichsgründung war der preußische Kanzler Otto von Bismarck. Im Spiegelsaal von Versailles fand am 18. Januar 1871 die Reichsgründung und die Krönung des preußischen Königs Wilhelm I. zum deutschen Kaiser statt. Als Kriegsreparation musste Frankreich an Deutschland fünf Milliarden Francs in Gold bezahlen. Diesem Geldsegen und der Schaffung eines einheitlichen großenWirtschaftsraumes durch die Reichsgründung hatte das neue deutsche Kaiserreich einen bis dahin noch nie gesehenen wirtschaftlichen Aufschwung zuverdanken. Doch dem Boom folgte der Börsenkrach von 1873 auf dem Fuße.
Betrachtet man jedoch die wirtschaftlichen Leistungen und den wissenschaftlichen Fortschritt in den Friedensjahren von 1871 bis 1914 als Ganzes, dann kann man auch von dieser Zeit als von der Gründerzeit sprechen.

Dahme Rathaus

Im weiteren Sinn kann man ohne Frage das gesamte Jahrhundert von 1813 bis 1914 als die "Gründerzeit" bezeichnen. Was macht nun aber das Wesen dieser Epoche aus?
Der Name "Gründerzeit" beschreibt es eigentlich schon hinreichend. Es war die Zeit, in der viel Neues entstand, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. Ein weiterer Begriff dieser Zeit ist der Begriff der industriellen Revolution. Während in den Jahren nach den Befreiungskriegen (nach 1813) und vor allem nach der Märzrevolution 1848 viele von den politischen Freiheiten schrittweise wieder eingeschränkt wurden, blieben die wirtschaftlichen Veränderungen und Fortschritte weitestgehend erhalten. Die gefallenen Zollschranken, die Gewerbefreiheit und die Vereinheitlichung von Maßen und Währungen warenwichtige Veränderungen, die die wirtschaftliche Entwicklung zuvor massiv gehemmt haben. Aus Handwerksbetrieben konnten sich Manufakturen entwickeln und aus Manufakturen Betriebe und Konzerne. Die Märkte verschmolzen und wuchsen.

Knappenrode Brifa

Der Bedarf an Industriegütern wuchs in diesen Jahren ständig. Ein wesentlicher Faktor dieser Entwicklung war die Eisenbahn. Zum Ersten war sie ein Technologietreiber, weil alles, was dazu nötig war, um eine Dampfmaschine auf Räder zu stellen, erst einmal entwickelt werden musste, zum Zweiten konnte eine funktionierende Eisenbahn Märkte verbinden und Rohstoffe günstig heranschaffen und zum Dritten war die Eisenbahn auch ein riesiger Abnehmer für alle anderen Bereiche der sich entwickelnden Industrie, angefangen von der Stahlindustrie, über das Baugewerbe bis hin zur Telegrafie.

Saxonia

Es waren die Jahre, in denen findige Unternehmer in kurzer Zeit riesige Imperien aufbauen konnten und dabei sehr reich wurden. Viele Namen dieser Zeit haben bis heute einen guten Klang und wer kennt Sie nicht; Krupp, Thyssen, Daimler, Stinnes, Benz, Borsig, Maffei, Siemens, Oetker, Otto, Zeppelin, Zeitz u.v.a.m.
Die treibende Kraft dieser Entwicklung war das Bürgertum. Konnte man zunächst auch noch keinen politischen Einfluss erreichen, so wuchs man doch zu einer wirtschaftlichen Macht heran. Das sich entwickelnde Selbstbewusstsein des Bürgertums brachte auch Veränderungen in der Gesellschaft, der Kunst und Architektur mit sich. Gerade die Gründerjahre haben sich in unseren Städten bis heute eindrucksvoll verewigt. Die massive Industrialisierung brachte eine starke Wanderbewegung vom Land zur Stadt mit sich. Fabriken von bis dahin nicht gekannten Ausmaßen entstanden und ganze Wohnviertel wurden auf der grünen Wiese errichtet.

Dessau Krötenhof

Der zunehmende Wohlstand dieser Gründergeneration wollte auch repräsentiert werden. Prachtvolle Villen und stattliche Bürgerhäuser entstanden genauso wie imposante Bahnhöfe und Schulen. Aber auch da, wo der neue Reichtum entstand, wollte man seinen Wohlstand und Status zeigen. Die Industriebauten dieser Jahre waren vielfach wahre Paläste.

Dessau Kochhaus

Wo Geld verdient wird, da kann auch Geld ausgegeben werden. Im Zuge dieser Entwicklung entdeckte das wohlhabende Bürgertum alte verfallene Ritterburgen und Gutshöfe wieder und baute sie im Stil der Zeit wieder auf. So wurde die Burg Lahneck vom Eisenbahndirektor Morarty wieder aufgebaut. Für das Kleinbürgertum entstanden Naherholungsziele wie der gusseiserne Turm in Löbau (1854) oder das Josephskreuz bei Stolberg im Harz (1896) und für das Großbürgertum und den Adel entstanden prachtvolle Bäder wie in Karlsbad. Ein sehenswerter Gründerzeitbau dort sind die Eisernen Kolonnaden (1889).

Stollberg Josephskreuz

Diese Zeit war aber nicht ohne Widersprüche. Einem unerhörten Fortschrittswillen und -glauben an die grenzenlose technische Machbarkeit von Allem stand ein zurückblickender romantisch, träumerischer Zeitgeist gegenüber. Mit neuen technischen Mitteln und Erfindungen wurden Möbel, Gebäude und Maschinen im Stile längst vergangener Epochen verziert. Es war nicht nur die Zeit der industriellen Revolution; es war auch die Zeit der Romantik.
In der Gestaltung der neuen Dinge wurde sich recht freigiebig an den alten Vorbildern bedient. Gotik, Renaissance, Barock wurden zu Neogotik, Neorenaissance und Neobarock oder einfach gesagt man befand sich im Zeitalter des Historismus. Zum Ende um 1900 kam dann auch noch der Jugendstil hinzu.
In der Gestaltung war man recht frei, hauptsache man stellte mit dem neuen Gebäude oder dem neuen Möbel seinen erreichten Reichtum und Status hinreichend dar.

Aber man kann auch bestimmte, immer wiederkehrende Gestaltungsmuster erkennen. In der Industriearchitektur, in den Gebäuden der Bahngesellschaften aber auch an öffentlichen Gebäuden wie Schulen und Rathäuser tauchen immer wieder Backsteine und Schmiedeeisen auf. Diese beiden Baustoffe sind nicht neu in dieser Zeit, aber durch die industrielle Fertigung in einer unübertrefflichen Vielfalt und zu vernünftigen Preisen auf dem Markt.

Dessau-Alten Kirche

Backsteine werden in großen Ziegeleien in Massen gebrannt, in beliebige, maßgeschneiderte Formen gebracht und mit Glasuren haltbar, farbig und dekorativ gestaltet. Schöne Beispiel für diese industrielle Backsteinarchitektur sind die Speicherstadt in Hamburg oder der Wasserturm in Forst.

Forst Wasserturm

Das Eisen ist eines der wichtigsten Industriegüter dieser Zeit. Eisen wird in Mengen verfügbar und durch neue Legierungen und neue Schmiedeverfahren in seinen Eigenschaften differenzierter und für viele Einsatzzwecke optimierter. Das Eisen ermöglicht es den Architekten, größer zu bauen, Hallendächer zu überspannen, Brücken und Türme zu konstruieren. Um zu zeigen, wie gut man mit diesem Werkstoff umzugehen weiß, zeigt man das Eisen natürlich auch.Tragende Konstruktionen werden nicht versteckt, im Gegenteil, sie werden gezeigt und entfalten ihre eigene Ästhetik. Den Pariser Eiffelturm kann man sich schwerlich mit einem Kleid aus Kalkputz vorstellen. Fehlen darf natürlich auch nicht all der andere Zierrat aus Eisen wie Geländer, Lampen, Gitter usw.

Dessau Schulmuseum

Bewusst oder unbewusst bestimmt vieles dieser Zeit unser heutiges Leben. Architektur und Lebensstil, westliche Kunst und Kultur, das bürgerliche Gesetzbuch und die Sozialversicherung, Parteien und Gewerkschaften, Entwicklergeist und Fortschrittsgedanken - vieles ist in dieser Zeit entstanden und wird bis heute gelebt und weiter entwickelt.
Dieser Zeit, die mich mit ihren Erfolgen und Leistungen immer wieder fasziniert möchte ich mit meinen Gründerzeitmodellen in der Tradition der erzgebirgischen Holzkunst ein kleines Denkmal setzen. Es ist mir bewusst, daß nichts und niemand diese Epoche in einem einzigen Schwibbogen oder einer Pyramide unterbringen kann, aber man kann mit Stilelementen aus dieser Zeit kleine Geschichten erzählen und versuchen, den Gründergeist damit einzufangen.

Gründerzeit-Schwibbogen